Eigentlich regelmäßig kommt es vor, dass auf einer Online-Diskussionsplattform moderiert wird. Und nicht selten wird daraufhin „Zensur!“ gerufen. Das wesentliche wurde dazu schon gesagt, etwa von Florian Freistetter in ‚Gelöschte Kommentare sind keine Zensur: Was ist “Meinungsfreiheit”?‘ – samt dem zugehörigen xkcd-Comic.
Trotzdem gibt es aufrichtig wohlmeinende Menschen, welche die Ansicht vertreten, dass obiges zwar die juristische Seite sei, aber es einen moralischen Imperativ gebe freiheitlich zu handeln und keine Meinung zu unterdrücken. An der Stelle wird dann auch gerne auf das Zitat „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ verwiesen. Oder darauf, dass das Unterdrücken von Meinung doch ein totalitäres Phänomen sei, von dem man sich in einer freiheitlichen Demokratie distanzieren sollte (sei es aus moralischem Prinzip, oder um Meinungsinzest und damit selbstgefällig-elfenbeinturmartige Realitätsferne zu vermeiden).
Diese Ansichten kann man nachvollziehen auf einer theoretischen Ebene durchaus wertschätzen. Trotzdem sind sie letztlich naiv, weil sie wesentliche Dynamiken außer acht lassen. Der Kern des Problems liegt beim Sozialverhalten, nicht der Meinung.
Das Internet ist nicht fair
So wird davon ausgegangen, dass jeder friedlich und konstruktiv diskutieren will. Die Existenz destruktiver Teilnehmer (Trolle, Spammer, …) und unkonstruktiver Teilnahme (Selbstdarstellen, Nichtssagen, Totdiskutieren, Rumempören, wildes OT …) wird außer acht gelassen.
Und ja, dazu gehören klassischerweise auch Teilnehmer, die eine gutgehende Plattform ungefragt mit ihrem selbstdarstellerischen, dauerempörten OT zuspammen, nicht zuletzt weil ihnen anderswo keiner zuhören würde.
Auch sonst ist das „Kräfteverhältnis“ ungleich: Wer viel online ist und Zeit hat kann Diskussionen besser beeinflussen als jemand, der nur abends ein kleines Zeitfenster zur Verfügung hat. Wer einfach nur Behauptungen aufstellt kann schneller reagieren und mehr Volumen produzieren als ein Diskussionsteilnehmer, der recherchiert und Quellen raussucht.
Oder anders ausgedrückt: Es ist online unheimlich leicht Lärm zu machen.
Moderation ist nicht Zensur
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt die Erwartungshaltung und das bisher investierte Engagement. Wenn Diskussionsplattform nur als Laberecke herhalten soll, frei nach dem Motto „schön dass wir mal drüber geredet haben“, dann läßt es sich auch vergleichsweise leicht verschmerzen wenn das Niveau in den Keller geht und das Signal-zu-Rauschen-Verhältnis abnimmt. Nimmt ja eh niemand ernst, und gr0ß Energie reinstecken tut auch kaum jemand. Ein paar Wortgefechte als Fingerübung, mit den Bekannte ein paar Scherze ausgetauscht, vielleicht auch einfach mal Dampf abgelasen – fertig. Den Drang danach kennt glaub jeder hier.
Das ändert sich aber recht schnell, sobald es in den Augen mancher/vieler darum geht Ergebnisse zu erzielen. Denn wenn Leute Zeit und Aufwand in eine Richtung investieren, dann wollen sie auch mal (Zwischen-)Ergebnisse erreichen. Und sei es nur ein gemeinsamer Wissensgewinn, der die investierte Zeit wert ist. Leute die ohne Sinn und Rücksichtnahme nur ihre Meinung ventilieren wollen stören dann schnell. Und die Aussicht, wieder bei Null anfangen zu können, sorgt für realen Frust.
Etwa wenn ständig immer wer neues (oder gar altes) versucht die Basics zu demontieren, obwohl man doch endlich eins der etwas tiefergehenden Themen ausdiskutieren würde. Wobei „tiefergehend“ in vielen Online-Plattformen eh recht relativ ist – oft reicht schon ein wenig Zuhören um „auf Stand“ zu kommen oder sich wenigstens an der herrschenden Etikette orientieren zu können. Trotzdem gibt es immer wieder Leute, denen selbst das zuviel zu sein scheint.
Signal to Noise
Was aber, wenn die „Störgeräusche“ so stark werden, dass auf einer Diskussionplattform gar nicht mehr vernünftig diskutiert werden kann. Wenn „arbeiten“ unmöglich wird? Wenn beispielsweise 10% der Nutzer 90% des Traffics verursachen, und der bei den restlichen 90% nur noch zu Frust führt? (Und ja, ich denke da an die Syrien- und Ukraine-Diskussionen auf Augengeradeaus. Da hätte die Community tatsächlich durch die Informationsaufbereitung einen gesellschaftlichen Mehrwert generieren können. Stattdessen haben einige wenige lautstarke Nutzer mit mutwillig kruder Logik, viel Ideologie und wilden Behauptungen die Diskussion dominiert. Ideologieschleuder statt Smartmob?)
Lastenverteilung: Einer ist immer der Depp?
Der Staat ist für solche Fälle gut aufgestellt: Der hat einen umfassenden Kodex an Regeln, prüft Verstöße von Fall zu Fall und hat Kräfte um die Einhaltung durchzusetzen. (Und selbst da sind es nie genug, aber das ist eine andere Sache.)
Ein Forum, oder gar ein Blog, hat diesen Luxus nicht. Gerade bei Blogs ist derjenige, der eh die meiste Arbeit reinsteckt, meist auch noch derjenige, der sich das Moderieren ans Bein bindet. Fair ist das nicht. Und letztlich ist es auch eine Zwickmühle:
Wird nicht moderiert, dann verkommt die Kommentarspalte womöglich zum Multiplikator für Trolle und irrlichternde Deppen. Besonders bitter für Blogs mit dem Anspruch zu informieren: Anstatt das die Kommentarsektion das Wissen mehrt, hilft auf einmal die Bekanntheit des Blogs beim verbreiten irgendwelchen Blödsinn (letztlich zu Lasten des Blogbetreibers – er hat den Schaden, und die Trolle und Deppen ziehen weiter zur nächsten Spielwiese).
Wird moderiert, dann trägt einer die Kosten (Zeit, Nerven,… ) für den Mehrwehrt der anderen. Denn machen wir uns nichts vor: Forenmoderator ist nichts was Geld oder Einfluss bringt. Davon kann niemand leben. Entsprechend sind die Opportunitätskosten für den Betrieb eines wohlmoderierten oder gar teilnehmernahen Forums hoch. Denn während der Zeit die fürs Moderieren draufgeht wird eben weder Geld verdient, noch regeneriert. Vom Stress und Frust aufgrund des Gegenwinds ganz abgesehen (dem „Warum tu ich mir das eigentlich an?“). Meine Erfahrung aus der Vereinsmeierei ist, dass „Verantwortliche“/“Moderatoren“, denen es nicht um Karriere/Status geht, oft nach 1-2 Jahre ausgebrannt sind und eine Pause brauchen – vor allem wenn sie kein Team hinter sich haben, das tatsächlich Verantwortung übernimmt.
Der harte Schnitt
Letztlich stellt sich auch die Frage: Was tun wenn die Resourcen irgendwann nicht mehr ausreichen? Wenn mehr Kindergärtner nicht drin ist, und der Lärmpegel trotzdem weiter steigt?
Die Regeln vereinfachen und vor allem leichter durchsetzbar machen („Kein OT, wer dagegen verstößt wird verwarnt und dann gebannt“, „Moderation nur noch nach Meldung durch die Teilnehmer“)?
Leute die wie Randgruppen-Polemiker auftreten gleich rauswerfen?
Die Kommentarsektion einstellen (weil eher Kostenfaktor und Herzensangelenheit denn Einnahmequelle)?
Zusätzliche Moderatorenstellen besetzen?
Die Diskussionplattform mit anderen Bloggern als Gemeinschaftsprojekt aufziehen (und den damit verbundenen Aufwand auf mehr Schultern verteilen)?
Von daher ist auch Moderation was ganz anderes als Zensur: Ziel ist es eben, dass nicht einige besonders Schrille/Lautstarke alles dominieren, und dass eben ausgewogenes und zielführendes Diskutieren überhaupt möglich wird.
Laberecken vs. produktive Gruppen